Droit du travail
Concurrence prohibée par voie de mesures provisionnelles
La cessation de l’activité concurrente à titre préventif est admissible si l’ancien employé fait concurrence à l’entreprise de manière particulièrement déloyale. Une telle mesure est par exemple admissible si l’intéressé utilise les renseignements obtenus dans l’ancienne entreprise afin d’acquérir des clients.
État de fait
Une entreprise argovienne fabrique des appareils endoscopiques, soit des dispositifs médicaux permettant la visualisation de cavités internes du corps. Par le biais d’une clause de prohibition de faire concurrence prévue dans son contrat de travail, une responsable de produits de l’entreprise s’est engagée à ne pas travailler dans une entreprise de fabrication, de vente ou de réparation d’appareils endoscopiques dans toute la Suisse pendant deux ans après la fin du contrat. L’employée a résilié son contrat et a commencé à travailler dans une entreprise concurrente sise dans un autre canton.
Son ancien employeur a déposé une demande de mesures provisionnelles auprès du Tribunal d’arrondissement de Zurzach (AG). Ce dernier a exigé que l’ancienne collaboratrice n'exerce plus d’activité concurrente pendant deux ans sous peine de sanction pénale. Le tribunal de district a partiellement admis la requête. Ce dernier a considéré que la clause de prohibition de faire concurrence était valable mais l’a limitée à une durée d’un an. Il a ainsi interdit à la défenderesse de travailler pour la nouvelle entreprise C. pendant un an. La défenderesse a avancé qu’une interdiction d’exercer dans les cinq cantons dans lesquels l’ancienne entreprise était active était suffisante. Mais le Tribunal cantonal argovien a rejeté son recours.
Extrait des considérants
5.1.1. Das Konkurrenzverbot ist nach Ort, Zeit und Gegenstand angemessen zu begrenzen, so dass eine unbillige Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens des Arbeitnehmers ausgeschlossen ist; es darf nur unter besonderen Umständen drei Jahre überschreiten (Art. 340a Abs. 1 OR).
6.1. Übertritt der Arbeitnehmer das Konkurrenzverbot, so hat er den dem Arbeitgeber erwachsenden Schaden zu ersetzen (Art. 340b Abs. 1 OR). Ist es besonders schriftlich verabredet, so kann der Arbeitgeber neben der Konventionalstrafe und dem Ersatz weiteren Schadens die Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes verlangen, sofern die verletzten oder bedrohten Interessen des Arbeitgebers und das Verhalten des Arbeitnehmers dies rechtfertigen (Art. 340b Abs. 3 OR).
Die Realexekution ist damit nur in Ausnahmefällen zu gewähren; die verbotene Konkurrenzierung reicht für sich genommen nicht. Materiell wird vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass der ihm entstandene (oder drohende) Schaden erheblich und schwer wiedergutzumachen ist, und die Verletzung der vertraglichen Verpflichtung durch den Arbeitnehmer besonders schwer gegen Treu und Glauben verstösst (BGE 131 III 473 E. 3.2; RÄBER, Das nachvertragliche Konkurrenzverbot im Arbeitsvertrag, de lege lata und de lege ferenda, Diss. 2020, Rz. 830).
Ein besonders treuwidriges Verhalten im Sinne von Art. 340b Abs. 3 OR kann in der Art der Vertragsauflösung, in der Konkurrenztätigkeit oder in den besonderen Umständen liegen, so beispielsweise darin, dass der Arbeitnehmer die Konventionalstrafe durch den neuen Arbeitgeber bezahlen lässt, Mittel des früheren Arbeitgebers benutzt, diesem die Kunden mit falschen Behauptungen abspenstig macht oder sonst rücksichtslos vorgeht bzw. jegliche Bereitschafft missen lässt, sich an das vereinbarte Konkurrenzverbot zu halten.
6.2.1. Die Vorinstanz erwog, dass nicht bestritten worden sei, dass die Beklagte bei der Klägerin für einen Umsatz von knapp fünf Millionen Franken verantwortlich gewesen sei. Ohne Frage könne ein solcher Betrag als substantieller Umsatzanteil betrachtet werden. Dies allein genüge aber regelmässig noch nicht, um das besonders hohe Schadenspotenzial bejahen zu können.
Die Tatsache, dass die Beklagte gleich an ihrem ersten Arbeitstag im Konkurrenzbetrieb einen Kunden der Gesuchstellerin anschrieb, mit dem Ziel, eine Geschäftsbeziehung einzugehen bzw. diese (nunmehr beim neuen Arbeitgeber) fortzusetzen, ist nach Auffassung der Vorinstanz als besonders treuwidrig einzustufen, zumal es sich angesichts der Tatsache, dass die Beklagte anerkannt habe, rund 350 Kontakte angeschrieben zu haben, nicht um einen Einzelfall gehandelt haben dürfte.
Der nahtlose Wechsel der Beklagten von der Klägerin zur C. AG sowie ihr sofortiger Abwerbeversuch an ihrem ersten Arbeitstag deuteten sodann darauf hin, dass die Beklagte ihren Wechsel zu einem direkten Konkurrenten der Klägerin wohl schon länger geplant haben dürfte und sich damit – im Wissen um das vereinbarte Konkurrenzverbot – bewusst zu diesem Wechsel entschieden habe.
6.3.2. Das Vorgehen der Beklagten erweist sich zudem als besonders treuwidrig. In tatsächlicher Hinsicht ist erstellt, dass die Beklagte und ein weiterer Mitarbeiter der Klägerin, E., ihren Arbeitsvertrag fast zeitgleich per 30. September 2022 gekündigt haben und E. die Geschäftsführung bei der C. AG übernommen hat. Die Feststellung der Vorinstanz, es sei (erhöht) glaubhaft, dass sich diese abgesprochen haben, da es unwahrscheinlich sei, dass die zeitgleiche Kündigung und der Wechsel in dieselbe Konkurrenzunternehmung blossem Zufall geschuldet seien, ist nicht zu beanstanden und wurde im Berufungsverfahren auch nicht gerügt.
7. Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass die Hauptsachenprognose positiv ausfällt, d.h. das Vorliegen eines zivilrechtlichen Anspruchs (Realvollstreckung des Konkurrenzverbots) glaubhaft im Sinne der Rechtsprechung ist (Art. 261 Abs. 1 lit. a ZPO).
9.1. Die Beklagte beantragt subeventualiter, dass das von der Vorinstanz ausgesprochene Tätigkeitsverbot für die Beklagte bei der C. AG auf ihren früheren Wirkungskreis bei der Klägerin (Kantone Aargau, Bern, Basel-Stadt, Solothurn und Tessin) zu begrenzen sei, ihr mithin lediglich zu verbieten sei, in diesen Kantonen Kunden der C. AG zu besuchen und/oder diese zu kontaktieren oder anderweitig zu betreuen. Die Beklagte führt hierzu aus, dass unbestritten sei, dass sie tatsächlich und nur in den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Stadt, Solothurn und Tessin tätig gewesen sei.
9.3. Im Urteil des Bundesgerichts 4C.298/2001 erwog dieses, dass die Arbeitsorganisation im Betrieb der neuen Arbeitgeberin eine Rolle spiele, soweit es um die Frage gehe, ob die Verwendung der an der früheren Stelle erworbenen Kenntnisse des Beklagten den Kläger erheblich schädigen könnte. Dass eine solche Schädigungsmöglichkeit bestehe, liege auf der Hand, habe der Beklagte doch bezüglich der von der Klägerin vertriebenen Produkte Einblick in Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse sowie den Kundenkreis.
Er verfüge damit über Informationen, die von der neuen Arbeitgeberin konkurrenzierend ausgenutzt werden könnten. An der Möglichkeit einer Schädigung ändere es nichts, wenn die Beklagte sich im neuen Betrieb nicht um die vom Konkurrenzverbot erfassten Produkte kümmere. Diese organisatorische Massnahme reiche in keiner Weise aus, um zu verhindern, dass Informationen vom Beklagten zum hierfür Verantwortlichen fliessen und von diesem verwendet werden können.
Die vorliegende Konstellation ist mit derjenigen, die dem vorstehend zitierten Bundesgerichtsentscheid 4C.298/2001 zugrunde lag, vergleichbar. Wenn es auch nicht um den sachlichen Geltungsbereich eines Konkurrenzverbots geht, sondern den örtlichen Umfang eines ausgesprochenen Tätigkeitsverbots, sind die Überlegungen dieselben. Entgegen der Darstellung der Beklagten ist dem Schutz der Klägerin mit einem auf bestimmte Kantone beschränkten Tätigkeitsverbot bei der C. AG nämlich auch hier nicht Genüge getan. Die C. AG ist als direkte Konkurrentin der Klägerin auch in Kantonen tätig, in denen die Beklagte früher für die Klägerin tätig war.
Irgendwelche Schutzvorkehren, die verhindern sollten, dass die Beklagte ihr Wissen nicht auch im verbotenen Geltungsbereich einbringt, sei dies durch eigene Abwerbeversuche oder über andere Mitarbeiter der C. AG, wurden weder vorgebracht noch sind solche ersichtlich.
9.4. Die von der Vorinstanz ausgesprochene Massnahme ist geeignet und erforderlich, um die gefährdeten, erheblichen Interessen der Klägerin zu schützen. Besondere Gründe, die eine Realvollstreckung als unverhältnismässig erscheinen liessen, sind nicht ersichtlich. Damit ist die Berufung der Beklagten abzuweisen.
Arrêt ZSU.2023.48 du Tribunal cantonal du canton d’Argovie du 1.5.2023
Droit du bail
Validité d’une résiliation après un retard de paiement
Il appartient au locataire de préciser de quelle dette il s’acquitte. Si cette mention fait défaut et à moins que le locataire ne se manifeste immédiatement, le bailleur pourra librement attribuer le paiement à n’importe quelle dette avec un montant similaire.
État de fait
La locataire d’un appartement argovien ne s’était pas acquittée d’un mois de loyer. Le bailleur a donc envoyé un courrier de mise en demeure l'enjoignant de payer dans les 30 jours. Il était également précisé, qu’à défaut de paiement dans ce délai, le contrat de bail serait résilié. La femme a certes versé un loyer dans le délai imparti. Elle n’a toutefois pas indiqué le mois de loyer concerné par le paiement.
Le bailleur a résilié le bail en lui indiquant qu’il avait supposé que la somme versée se rapportait au loyer du mois suivant. Un mois plus tard, la locataire a réclamé la somme correspondant à la créance la plus ancienne. Le Tribunal d’arrondissement de Baden et le Tribunal cantonal argovien ont en revanche jugé que la résiliation était valable.
Extrait des considérants
3.1.4. Hat der Schuldner mehrere Schulden an denselben Gläubiger zu bezahlen, so ist er gemäss Art. 86 Abs. 1 OR berechtigt, bei der Zahlung zu erklären, welche Schuld er tilgen will. Die Anrechnungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann sich ausdrücklich oder aufgrund des Verhaltens des Schuldners ergeben, muss aber dem Gläubiger in jedem Fall erkennbar sein.
Ein stillschweigender Anrechnungswille liegt in der Regel dann vor, wenn der Zahlungsbetrag nur mit einem Forderungsbetrag und nicht mit den anderen Forderungsbeträgen übereinstimmt (ROLF H. WEBER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 2005, N. 29 zu Art. 86 OR). Mangelt eine solche Erklärung, so wird die Zahlung auf diejenige Schuld angerechnet, die der Gläubiger in seiner Quittung bezeichnet, vorausgesetzt, dass der Schuldner nicht sofort Widerspruch erhebt (Art. 86 Abs. 2 OR).
3.1.5. Die Erstreckung ist ausgeschlossen bei Kündigungen wegen Zahlungsrückstand des Mieters (Art. 272a Abs. 1 lit. a OR).
3.2.2.2. Nachdem eine Anrechnungserklärung der Beklagten als Schuldnerin fehlte, wurde die Zahlung gemäss Art. 86 Abs. 2 OR auf diejenige Schuld angerechnet, die die Klägerin in ihrer Quittung bezeichnet hat. Die Klägerin hielt in der Kündigung vom 9. Januar 2023, die als Quittung gilt, fest, die Zahlung vom 1. Dezember 2022 beziehe sich auf die Monatsmiete Dezember 2022, welche am 1. Dezember 2022 fällig gewesen sei.
Die Beklagte hat ihren Widerspruch gegen diese Erklärung zu beweisen sowie, dass sie ihn sofort erhoben hat. Dies ist ihr nicht gelungen und sie brachte es auch nicht in den vorinstanzlichen Rechtschriften vor. Vielmehr gab sie erst über mehr als einen Monat später mit Schreiben vom 21. Februar 2023 an die Schlichtungsbehörde an, dass sie den Mietzins vom November 2022 am 1. Dezember 2022 bezahlt habe. Folglich hat die Beklagte den Mietzins für den Monat November 2022 nicht innert der angesetzten Frist bezahlt.
Demnach bestand ein Zahlungsrückstand der Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung des Mietverhältnisses, weshalb die Klägerin zu Recht am 9. Januar 2023 auf den 28. Februar 2023 kündigte. Die Gründe für das Ausbleiben der Zahlung der Beklagten sind irrelevant.
Arrêt ZSU.2023.120 du Tribunal cantonal du canton d’Argovie du 8 août 2023
Procédure pénale
Au moins deux auditions de la victime sont nécessaires
Les autorités de poursuite pénale doivent interroger les victimes adultes au moins deux fois en cas de «parole contre parole». Un des entretiens doit faire l’objet d’un enregistrement vidéo.
État de fait
La victime dans une procédure pénale portant sur une atteinte à l’intégrité sexuelle a été interrogée par une policière spécialisée peu après l’incident. Le tribunal de première instance a renoncé à interroger la victime une nouvelle fois et a condamné le prévenu pour viol. Le Tribunal cantonal de Lucerne a considéré qu’il était impératif de procéder à un deuxième interrogatoire de la victime avec un enregistrement vidéo. Ce deuxième interrogatoire a donc été réalisé. Le prévenu a été acquitté.
Extrait des considérants
3.5.2. Das Berufungsgericht wiederholt erstinstanzliche Beweisabnahmen, wenn die Voraussetzungen von Art. 389 Abs. 2 StPO erfüllt sind, und erhebt von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei die erforderlichen zusätzlichen Beweise (Art. 389 Abs. 3 StPO). Eine unmittelbare Beweisabnahme im Rechtsmittelverfahren hat laut bundesgerichtlicher Praxis auch zu erfolgen, wenn eine solche im erstinstanzlichen Verfahren unterblieb oder unvollständig war und die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint (Art. 405 Abs. 1 i.V.m. Art. 343 Abs. 3 StPO; BGE 143 IV 288 E. 1.4.1, 140 IV 196 E. 4.4.1).
Eine unmittelbare Abnahme eines Beweismittels ist notwendig im Sinne von Art. 343 Abs. 3 StPO, wenn sie den Ausgang des Verfahrens beeinflussen kann. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Kraft des Beweismittels in entscheidender Weise vom Eindruck abhängt, der bei seiner Präsentation entsteht, beispielsweise wenn es in besonderem Masse auf den unmittelbaren Eindruck der Aussage der einzuvernehmenden Person ankommt, so wenn die Aussage das einzige direkte Beweismittel («Aussage gegen Aussage»-Konstellation) darstellt. Allein der Inhalt der Aussage einer Person (was sie sagt), lässt eine erneute Beweisabnahme nicht notwendig erscheinen.
Massgebend ist, ob das Urteil in entscheidender Weise von deren Aussageverhalten (wie sie es sagt) abhängt (BGE 140 IV 196 E. 4.4.2). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung können auf Video aufgezeichnete Einvernahmen genügen, um sich ein hinreichendes Bild von der Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson oder des Zeugen respektive der Glaubhaftigkeit deren Aussagen zu verschaffen. Dies ist namentlich der Fall, wenn weitere Sachbeweise oder Indizien vorliegen und die einvernommene Person konstant und in sich logisch konsistent aussagt (BGer-Urteile 6B_612/2020 vom 1.11.2021 E. 2.3.4, 6B_1265/2019 vom 9.4.2020 E. 1.2). Das Gericht verfügt bei der Frage, ob eine erneute Beweisabnahme erforderlich ist, über einen Ermessensspielraum.
Vorliegend handelt es sich um eine «Aussage gegen Aussage»-Konstellation. Die Aussagen der beiden beteiligten Personen sind die einzigen und damit entscheidenden direkten Beweismittel. Sachbeweise dafür, dass der Geschlechtsverkehr zwischen der Privatklägerin und dem Angeklagten einvernehmlich oder nicht einvernehmlich war, finden sich in den Akten nicht. Der Anklagevorwurf stützt sich weitestgehend auf die Aussagen der heute volljährigen Privatklägerin, die bisher lediglich einmal – audiovisuell – einvernommen wurde. In einer solchen Konstellation ist es unerlässlich, die Privatklägerin ein zweites Mal persönlich anzuhören und zu befragen.
Nur wenn von einer aussagenden Person mehrere Aussagen über denselben Sachverhalt zu verschiedenen Zeitpunkten vorliegen, können diese Aussagen mittels einer sogenannten Konstanzanalyse hinsichtlich Auslassungen, Ergänzungen und Widersprüche überprüft und bewertet werden. Die Konstanzanalyse stellt dabei ein wesentliches methodisches Element der Aussageanalyse dar. Es handelt sich um eine Mindestanforderung einer als glaubhaft beurteilten Aussage (BGer-Urteil 6B_595/2021 vom 24.6.2022 E. 5.4.2 mit Hinweisen; vgl. BGE 128 I 81 E. 2 und 3; Berlinger, Glaubhaftigkeitsbegutachtung im Strafprozess, Diss. Luzern 2014, S. 43 ff.; Ludewig/Baumer/Tavor, Wie können aussagepsychologische Erkenntnisse Richtern, Staatsanwälten und Anwälten helfen?, in: AJP 2011 S. 1415 ff., S. 1429).
Eine zweite Befragung ist notwendig, um inhaltliche Diskrepanzen und Unklarheiten in den Aussagen der Privatklägerin anzusprechen, die bisher nicht thematisiert wurden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich nach der ersten Einvernahme durch neue Beweismittel Widersprüche ergeben, zu denen die Privatklägerin bisher nicht Stellung nehmen konnte. Ein ausdrücklicher Antrag einer Partei ist für die Befragung vor Schranken nicht erforderlich.
Sowohl die Rechtsmittelinstanz als auch das erstinstanzliche Gericht sind dem Untersuchungsgrundsatz verpflichtet (Art. 6 StPO; vgl. Art. 343 Abs. 1 und 3 StPO; Art. 389 Abs. 3 StPO). Aus all diesen Gründen und entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung erweist sich die Zweiteinvernahme der Privatklägerin vorliegend geradezu als zwingend und wurde im Berufungsverfahren nachgeholt.
Nach dem Gesagten ist das erwachsene Opfer in Konstellationen wie der vorliegenden im Strafverfahren insgesamt mindestens zweimal zu befragen. Davon ist mindestens eine Befragung audiovisuell aufzuzeichnen. Die erste Befragung hat möglichst rasch nach dem Vorfall stattzufinden (vgl. für die Befragung von Kindern ausdrücklich Art. 154 Abs. 2 StPO), wobei zu berücksichtigen ist, dass der Abruf von Erinnerungen wenige Stunden nach dem Ereignis erschwert sein kann, was sich negativ auf die Qualität der (Erst-)Aussage auswirken kann.
Empirische Untersuchungen zeigen, dass dieser Effekt drei bis vier Stunden nach dem stressauslösenden Ereignis nachlässt (Sommer/Gamer, Einfluss traumatischer Ereignisse auf das Gedächtnis – neurowissenschaftliche Befunde, in: Praxis der Rechtspsychologie 1/28, S. 97 ff.; Niehaus, Einvernahme und Aussagepsychologie, in: Seminar zur 5. Tagung zum Strafprozessrecht, Zürich 2022, S. 156 ff.). Die zweite Befragung hat grundsätzlich im Vorverfahren oder spätestens im erstinstanzlichen Hauptverfahren zu erfolgen. Das Erinnerungsvermögen verschlechtert sich bei grossen Zeitabständen zwischen dem Ereignis und der Einvernahme.
Bei Zeitspannen unter sechs Monaten fällt der Zeitfaktor für das Erinnerungsvermögen jedoch weniger ins Gewicht, woraus sich ableiten lässt, dass die Zweiteinvernahme idealerweise möglichst rasch, spätestens jedoch innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach der ersten Befragung erfolgen sollte (vgl. Roebers, in: Walther/Preckel/Mecklenbräuker [Hrsg.], Befragung von Kindern und Jugendlichen, Göttingen 2010, S. 269 f.).
Arrêt 4M 22 105 du Tribunal cantonal du canton de Lucerne du 30 mai 2023
Responsabilité de l’État
Le canton répond des erreurs du notaire
Un notaire doit informer ses clients des modifications contractuelles prévues qui augmentent considérablement les risques. Si les clients commettent une faute, le juge pourra réduire les dommages-intérêts.
État de fait
Un couple a vendu son appartement sis dans le canton des Grisons pour la somme de 490 000 francs. Le projet de contrat prévoyait que l’acheteur s’acquitterait du paiement du prix auprès du notaire. Peu avant la signature de l’acte authentique, le notaire a été informé par l’agent immobilier que la somme lui avait été directement versée. Le notaire a procédé à la modification du contrat et le couple a signé sans avoir été informé des conséquences de ce changement contractuel.
L’agent immobilier a disparu avec l’argent et le couple s’est retrouvé sans argent et sans logement. Il a réclamé des dommages-intérêts au canton des Grisons en raison de l’information insuffisante fournie par le notaire. Le tribunal administratif a accordé au couple au moins la moitié du montant du dommage.
Extrait des considérants
7.1.3 Am Tag der Beurkundung, am 3. Juni 2019, änderte Notar aufgrund einer Mail der Maklerin der Verkäufer vom Vortag die Kaufpreisregelung. Demzufolge wurde gemäss Angaben der Parteien der volle Kaufpreis bereits treuhänderisch und ausseramtlich auf das Konto der G. Genossenschaft überwiesen, welche von den Parteien gemäss separater Absprache beauftragt wird, die Kaufpreistilgung und Bezahlung der Vertragskosten vorzunehmen.
7.2 Die Änderungswünsche waren sehr kurzfristig. Aufgrund der Mail von J. vom 2. Juni 2019 konnte Notar M. nicht davon ausgehen, dass die Parteien Kenntnis von dessen kurzfristigen Änderungswünschen hatten, wenn sie eben diese Mail nicht gelesen haben, geschweige denn, dass sie damit einverstanden waren. - Es handelt sich bei der Kaufpreisregelung um einen wesentlichen Bestandteil eines jeden Kaufvertrags. Mit der kurzfristigen Änderung der Kaufpreisklausel wurden die Kläger wesentlich schlechter gestellt als sie dies bisher gemäss allen Vorentwürfen, mit denen sie sich im Vorfeld der Beurkundung auseinandergesetzt haben, waren. - Die abgeänderte Kaufpreisregelung entspricht nicht der Praxis.
Diese Gegebenheiten sprechen dafür, dass Notar M. hätte erkennen müssen, dass er in diesem Geschäft die Parteien über die kurz vor der Beurkundung vorgenommenen Änderungen in einem vertieften Ausmass hätte belehren müssen und tatsächlich sicherstellen, dass die Parteien verstehen, welche Folgen die Änderungen der Bestimmung über den Kaufpreis bewirken. Wenn allerdings derart kurzfristig Änderungen vorgenommen werden, selbst wenn diese von der Maklerin der einen Partei veranlasst wurden, hat der Notar diese Änderungen mit den Parteien zu besprechen – vor allem wenn er, wie vorliegend, davon ausgehen muss, dass die Parteien über die Änderungen nicht informiert waren und zudem eine Partei dadurch schlechter gestellt wird.
Ihm hätte klar sein müssen, welche Sicherheiten die Kläger durch die Änderungen am Vertragstext einbüssen. Demnach ist Notar M. seiner Belehrungspflicht im konkreten Fall nicht in genügender Weise nachgekommen. Er hat weder die Vorstellungen und Absichten der Beteiligten ermittelt, noch sie über Inhalt und erkennbare Tragweite des Geschäfts belehrt.
7.3 Notar M. hat seine Sorgfaltspflichten nach Art. 26 NotG verletzt indem er kurzfristige Änderungen am vor Monaten durch die Parteien abgesegneten Vertragsentwurf vorgenommen hat, ohne diese Änderungen und deren Folgen den Parteien in genügendem Masse zu erläutern.
8. Die Kläger machen die Kaufpreissumme in der Höhe von CHF 490’000.00 zuzüglich Zins seit 4. Juni 2019 geltend. Vor der Beurkundung waren die Kläger Eigentümer einer Liegenschaft in F.. Danach waren die Kläger nicht mehr Eigentümer der Liegenschaft in F. und sie haben den von den Käufern bezahlten Gegenwert für die Liegenschaft von CHF 490’000.00 nicht erhalten.
Hätte die Beurkundung gemäss den im Vorfeld vereinbarten Bedingungen stattgefunden, wären sie seit dem 4. Juni 2019 im Besitz des Kaufpreises von CHF 490’000.00 oder die Beurkundung hätte nicht stattfinden können und sie wären nach wie vor Eigentümer der Liegenschaft. Der Schaden in der Höhe von CHF 490’000.00 zuzüglich Zins seit dem 4. Juni 2019 ist ausgewiesen.
9.1 Es ist davon auszugehen, dass die Kläger, wären sie umfassend über die vorgenommenen Vertragsänderungen informiert worden, den Vertrag nicht unterzeichnet hätten. Hätte Notar M. seine Sorgfalts- und Belehrungspflichten in genügendem Masse wahrgenommen und die Parteien umfassend aufgeklärt, wäre der Kaufvertrag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zustande gekommen. Somit wären in diesem Fall die B. nach wie vor Eigentümer der Liegenschaft und hätten keinen Schaden erlitten. Demnach ist der natürliche Kausalzusammenhang vorliegend als erfüllt zu betrachten.
9.2 Unter diesen Umständen erscheint die Sorgfaltspflichtverletzung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, den eingetretenen Erfolg zu bewirken. Die durch Notar M. begangene Sorgfaltspflichtverletzung hatte auf den eingetretenen Erfolg auf jeden Fall eine begünstigende Wirkung. Mithin ist in casu auch die adäquate Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung zu bejahen.
9.3 Zu prüfen bleibt vorliegend allerdings, ob der Kausalzusammenhang allenfalls unterbrochen wurde. Der adäquate Kausalzusammenhang wird unterbrochen, wenn zu einer an sich adäquaten Ursache eine andere Ursache hinzutritt, die einen derart hohen Wirkungsgrad aufweist, dass erstere nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich erscheint (BGE 116 II 519 E. 4b S. 524). Es stellt sich somit die Frage, ob einerseits das Verhalten der Maklerin und andererseits das Verhalten der Kläger selbst die Sorgfaltspflichtverletzung von Notar M. als inadäquat erscheinen lässt.
9.3.1 Zunächst ist ein allenfalls bestehendes Drittverschulden durch die Maklerin zu prüfen. Die Änderungswünsche der Maklerin hätten nach dem natürlichen Lauf der Dinge eben gerade nicht dazu führen dürfen, dass der Notar die Beurkundung trotzdem vornimmt resp. es unterlässt die Parteien darüber zu informieren. Vielmehr wäre ein aufmerksamer Notar nach der allgemeinen Lebenserfahrung unter den gegebenen Umständen argwöhnisch geworden und hätte die Beurkundung allenfalls abgesagt oder zumindest mit den Parteien genau besprochen, welche Folgen die Änderungen mit sich bringen.
Somit besteht kein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Maklerin bezüglich der Vertragsänderung sowie mangelnden Belehrung durch den Notar und dem eingetretenen Schaden. Infolgedessen kann das Verhalten der Maklerin den Kausalzusammenhang nicht unterbrechen.
9.3.2 Die Kläger haben den Vertrag, den ihnen Notar M. vorgelesen hat, unterzeichnet. Es bleibt somit zu prüfen, ob ein Selbstverschulden der Kläger vorliegt. Sie hatten den abgeänderten Vertrag vor sich, konnten ihn demnach lesen, und zudem wurde er ihnen von Notar M. vorgelesen. Sie hätten die Beurkundung abbrechen können oder zumindest nachfragen können, als sie bemerkt haben, dass der Notar nicht denselben Vertragstext vorliest, den sie im Vorfeld abgemacht hatten.
Dennoch ist es auch nachvollziehbar, dass sie dem Notar vertraut haben und dass sie am Tag der Beurkundung nicht mit derart ungewöhnlichen Änderungen am Vertragstext gerechnet haben. Folglich ist zwar das Selbstverschulden der Kläger durchaus gegeben, die Intensität dieses Verhaltens erscheint jedoch nicht als so hoch, dass es die Sorgfaltspflichtverletzung des Notars als Ursache zu verdrängen vermögen würde.
9.3.3 Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass durch das Fehlverhalten der Maklerin sowie das Selbstverschulden der Kläger das Fehlverhalten der Beklagten nicht derart verdrängt wird, dass es nach Ansicht des Gerichts als adäquat kausale Ursache ausser Betracht fiele. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass das entsprechende Verhalten einen Einfluss auf den Schaden hatte.
9.4 Gemäss Art. 44 Abs. 1 OR kann das Gericht die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden, falls Umstände, für die der Geschädigte einstehen muss, auf die Entstehung oder die Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert haben. Dazu zählt auch das Verhalten von Hilfspersonen, welchen der Geschädigte die Erfüllung einer Vertragspflicht bzw. die Ausübung eines Rechts aus einem Schuldverhältnis übertragen hat (BGE 130 591 E. 5.2 S. 601).
Demnach fällt das Verhalten der Maklerin als Vertreterin der Kläger in die Risikosphäre der Kläger. Ausserdem ist den Klägern, wie bereits festgestellt, ein Selbstverschulden vorzuwerfen. Das Verschulden des Schädigers wiegt nach Ansicht des Gerichts schwerer als jenes der Geschädigten. Der Schädiger hat die Mail der Maklerin gelesen, sich damit zumindest soweit auseinandergesetzt, dass er eine wesentliche Vertragsbestimmung komplett abgeändert hat und diese Tatsache hat er in der Folge mit den Parteien nur ungenügend thematisiert. Die Geschädigten auf der anderen Seite haben nicht interveniert als sie einen überarbeiteten Vertragstext vorgelegt und vorgelesen bekamen.
Es ist davon auszugehen, dass sie die Mail der Maklerin nicht gekannt haben. Die aktive Veränderung des Vertragstextes und das Unterlassen seiner Aufklärungspflicht wiegen deutlich schwerer als das gutgläubige Mitmachen der Geschädigten, die dem Notar ihr Vertrauen geschenkt haben. Das Gericht erachtet eine Reduktion des Schadens von 25 % aufgrund des Selbstverschuldens der Kläger wegen ihrer mangelnden Eigenverantwortung für angemessen. Hinzukommt das Verhalten der Maklerin, das den Klägern anzurechnen ist. Auch diesbezüglich wird das Verschulden des Schädigers als schwerer betrachtet.
Schliesslich hätte er, wie bereits mehrfach erwähnt, unter den gegebenen Umständen stutzig werden müssen und hätte vor allem die Parteien sehr genau über die Änderungen aufklären müssen. Dennoch ging das Fehlverhalten grundsätzlich von der Maklerin aus und ist ihr Verschulden nicht von der Hand zu weisen. Daher erachtet das Gericht aufgrund ihres Verhaltens eine weitere Reduktion des Schadens um 25 % für angebracht. Folglich ist der Schaden, für den der Schädiger und somit die Beklagte einzustehen hat, nach Art. 44 Abs. 1 OR um insgesamt 50 % zu reduzieren aufgrund von Umständen, für die die Geschädigten einzustehen haben.
9.5 Zusammenfassend ist die Klage somit im Umfang von 50% gutzuheissen. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Arrêt U 2020 55 du Tribunal administratif du canton des Grisons du 6 juin 2023