Droit du travail
Fin de prestations sociales arbitraire
Le bureau central d’aide sociale doit informer le bénéficiaire de la fin des prestations, par écrit, en indiquant les raisons de la cessation ainsi que les voies de recours possibles.
Etat de fait:
Le plaignant reçoit des prestations sociales depuis 2017. Le bureau d’aide sociale les interrompt soudainement de la mi-2018 au début de l’année 2019. Le plaignant fait valoir son droit à l’interne, sans succès. Il se tourne vers le Tribunal administratif, qui lui donne raison: le bureau d’aide sociale doit lui rembourser les prestations non versées.
Extrait des considérants:
2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz anerkenne die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des Sozialamtes. Es werde richtigerweise festgehalten, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von September 2018 bis Januar 2019 grundsätzlich einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen gehabt habe. Die nachfolgende Argumentation, die effektiven Einnahmen in diesen Monaten wiesen keine offene Bedarfslücke aus, greife zu kurz. Der Beschwerdeführer verlange nicht, dass ihm Sozialhilfeleistungen ausbezahlt würden, damit er seine Schulden zurückzahlen könne. Die Schulden seien ja nur entstanden, weil der Sozialdienst die Zahlungen von September 2018 bis Januar 2019 de facto eingestellt habe. Der Beschwerdeführer habe während dieser Zeit ja irgendwie seinen Lebensunterhalt bestreiten müssen. Dem Beschwerdeführer hätten für die Monate Oktober 2018 bis Januar 2019 monatlich 1742.20 Fr. (...) gefehlt. Für die fragliche Zeit komme demnach ein Betrag von 6968.80 Fr. zusammen. Mit welchen Mitteln solle ein Sozialhilfebezüger sonst seinen Lebensbedarf finanzieren. (...) Es werde zwar grundsätzlich nicht bestritten, dass der Sozialdienst dem Subsidiaritätsprinzip nachleben müsse und dass hierzu auch die freiwilligen Leistungen Dritter zählen. Es sei hingegen nicht korrekt, dass die Vorinstanz rückblickend die diversen Gutschriften auf das Konto des Beschwerdeführers hinzurechne. Eine rückwirkende Betrachtung der Bedürftigkeit sei nicht korrekt. Hätte der Sozialdienst nämlich seine Leistungen nicht unrechtmässig eingestellt, wären die Zahlungen im Dezember von 2500 Fr. von den Eltern des Beschwerdeführers und 3000 Fr. von C. gar nicht erfolgt. Schliesslich sei es nicht zulässig, sämtliche Gutschriften auf dem Bankkonto des Beschwerdeführers als Einnahmen zu qualifizieren, über die der Beschwerdeführer nach seinem Gutdünken verfügen könne.
2.3 Die Sozialhilfe bezweckt die Existenzsicherung. Sie fördert die wirtschaftliche und persönliche Selbständigkeit und unterstützt die berufliche und gesellschaftliche Integration (§ 147 Abs. 2 SG). Sozialhilfe wird auf der Basis einer individuellen Zielvereinbarung (Hilfeplan) gewährt und berücksichtigt angemessen die persönlichen Verhältnisse (§ 148 Abs. 1 SG). Sie setzt aktive Mitwirkung der hilfesuchenden Person voraus und beruht auf dem Prinzip der Gegenleistung. (...). Die Bemessung der Sozialhilfeleistungen richtet sich gemäss § 152 Abs. 1 SG grundsätzlich nach den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für öffentliche Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien). Eine Dienstleistung oder Sozialleistung kann befristet verweigert, gekürzt oder in schweren Fällen eingestellt werden, wenn die Verpflichtungen nach § 17 in unentschuldbarer Weise missachtet werden. Die betroffene Person muss vorher schriftlich auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden (§ 165 SG). In Abweichung von den SKOS-Richtlinien kann der Grundbedarf gemäss § 93 lit. a der Sozialverordnung (SV; BGS 831.2) i.V.m. § 152 Abs. 2 SG bei Pflichtverletzungen bis zu 30% gekürzt werden. Bei wiederholten, schweren Pflichtverletzungen kann auf Nothilfe herabgesetzt werden. (...).
2.5 Das Sozialamt hat die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen an den Beschwerdeführer für die Monate September 2018 bis und mit Januar 2019 eingestellt. Die Einstellung der Zahlungen hat Verfügungscharakter, wurde hiermit doch das Rechtsverhältnis mit dem Beschwerdeführer gemäss der Dauerverfügung vom 1. März 2017, wonach dem Beschwerdeführer wirtschaftliche Sozialhilfe in Höhe von monatlich CHF 2036 Fr. (inkl. Mietzins) zusteht, einseitig abgeändert. Daran ändert nichts, dass die Verfügung bloss konkludent ergangen ist. Entsprechend hätte das Sozialamt dem Beschwerdeführer diese Anordnung schriftlich, begründet und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen eröffnen müssen (§ 21 Abs. 1 VRG). Zudem wäre vor Erlass der Verfügung ein Verwaltungsverfahren durchzuführen gewesen, in dessen Rahmen sich der Beschwerdeführer zur geplanten Einstellung der Zahlungen hätte äussern können (§ 23 Abs. 1 VRG). Wie die Vorinstanz richtig festgestellt hat, wurden die Zahlungen ohne Rechtstitel de facto eingestellt. Dies geschah in Missachtung grundlegender Verfahrensvorschriften und damit rechtswidrig. Entsprechend hätte das Sozialamt die Ausrichtung der Sozialhilfe nicht einstellen dürfen.
2.6 (...) Der Anspruch des Beschwerdeführers auf Sozialhilfe gemäss der Verfügung vom 1. März 2017 blieb auch im Zeitraum vom September 2018 bis Januar 2019 vollumfänglich bestehen. Vor diesem Hintergrund blieb kein Raum für eine retrospektive Beurteilung des sozialhilferechtlichen Bedarfs. Es ist offensichtlich, dass ein Sozialhilfebezüger zur Deckung seines Bedarfs neue Geldquellen erschliessen muss, wenn ihm die Sozialhilfe einfach nicht mehr ausbezahlt wird. Entsprechend kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden, dass er seinen Bedarf deckende Geldeingänge auf seinem Bankkonto hatte. Daran ändert auch das in der Sozialhilfe zu beachtende Subsidiaritätsprinzip nichts. Sofern beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausrichtung von Sozialhilfe nicht mehr erfüllt gewesen wären, wäre entsprechend ein Verfahren auf Überprüfung der Einkommenssituation einzuleiten gewesen. Das ist nicht passiert. Dem Beschwerdeführer wird denn auch seit Februar 2019 wieder unverändert Sozialhilfe gemäss der Verfügung vom 1. März 2017 ausbezahlt. Folglich hätte das Sozialamt die rückwirkende Ausrichtung der Sozialhilfe für den Zeitraum Oktober 2018 bis und mit Januar 2019 nicht verweigern dürfen.
Arrêt VWBES.2019.435 du Tribunal administratif du canton de Soleure du 16.6.2020
Procédure pénale
Recours accepté contre une ordonnance pénale
Si une citation n’est pas effectivement prise en compte, une audience manquée n’entraîne en principe ni le retrait de la demande ni la renonciation au contrôle juridictionnel de l’ordonnance pénale.
Etat de fait:
X reçoit une amende de 300 francs pour infraction au code de la route. Il s’y oppose. Le Ministère public le convoque à un entretien. X ne s’y présente pas. Le Ministère public, considérant que cela équivaut à un retrait d’opposition, estime que l’ordonnance pénale est définitive. Saisi par X, le Tribunal cantonal casse ce verdict.
Extrait des considérants:
3.1. Wer von einer Strafbehörde vorgeladen wird, hat der Vorladung Folge zu leisten. Wer verhindert ist, (...) hat dies der vorladenden Behörde unverzüglich mitzuteilen; er hat die Verhinderung zu begründen und soweit möglich zu belegen. Eine Vorladung kann aus wichtigen Gründen widerrufen werden. Der Widerruf wird erst dann wirksam, wenn er der vorgeladenen Person mitgeteilt worden ist (Art. 205 Abs. 1 bis 3 StPO). Gemäss Art. 85 Abs. 1 StPO bedienen sich die Strafbehörden für ihre Mitteilungen der Schriftform, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Die Zustellung erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung (Art. 85 Abs. 2 StPO). Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO).
3.2. Der Strafbefehl ist ein Vorschlag zur aussergerichtlichen Erledigung der Strafsache. Einziger Rechtsbehelf ist die Einsprache. Sie ist kein Rechtsmittel, sondern löst das gerichtliche Verfahren aus, in dem über die Berechtigung der im Strafbefehl enthaltenen Deliktsvorwürfe entschieden wird. Wird Einsprache erhoben, liegt die Sache zunächst wieder bei der Staatsanwaltschaft. Sie trägt damit die Verantwortung für die Einhaltung der «Grundsätze des Strafverfahrensrechts» bei der Fortsetzung des Verfahrens. Die Einsprache erhebende Person darf und muss auf ein rechtsstaatliches Verfahren vertrauen können (...). Nach Art. 355 Abs. 2 StPO gilt die Einsprache als zurückgezogen, wenn die Einsprache erhebende Person trotz Vorladung einer Einvernahme unentschuldigt fernbleibt. Gemäss Art. 354 Abs. 3 StPO wird der Strafbefehl ohne gültige Einsprache zum rechtskräftigen Urteil. Indes kann auf den gerichtlichen Rechtsschutz nur der informierte Beschuldigte wirksam verzichten (BGE 140 IV 82 E. 2.6 S. 86). Trotz Vorladung unentschuldigt fernbleiben kann somit nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der Verfahrensfairness und der Justizförmigkeit nur, wer von der Vorladung und den Rechtsfolgen einer Säumnis überhaupt Kenntnis erhält. Die gesetzliche Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO bezüglich der Vorladung gelangt daher nur zur Anwendung, wenn der Einsprecher tatsächlich Kenntnis von der Vorladung und damit auch von den Säumnisfolgen hatte oder wenn die fehlende Kenntnisnahme auf rechtsmissbräuchliches Verhalten zurückzuführen ist (BGE 140 IV 82 E. 2.7 S. 86).
4.1. Die Staatsanwaltschaft begründete die angefochtene Verfügung damit, dass der Beschwerdeführer schriftlich zur Einvernahme vorgeladen worden sei. Gemäss Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO gelte eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung habe rechnen müssen. Der Strafbefehl (...) beziehungsweise die darin enthaltenen Erläuterungen hielten in Ziffer 5 ausdrücklich fest, dass im Falle einer Einsprache die Staatsanwaltschaft, die zur Beurteilung der Einsprache notwendigen Beweise abnehme, weshalb jederzeit mit einer Vorladung zu rechnen sei. Weiter werde ausdrücklich auf die Säumnisfolgenbei unentschuldigtem Fernbleiben an einer Einvernahme trotz Vorladung aufmerksam gemacht. In diesem Fall gelte die Einsprache als zurückgezogen und der Strafbefehl erwachse in Rechtskraft.
4.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nach seiner Einsprache nichts mehr von der Staatsanwaltschaft gehört. Eine Vorladung für die staatsanwaltschaftliche Einvernahme habe er nie bekommen. Als er aus den Ferien gekommen sei, habe er einen Abholschein im Briefkasten vorgefunden. Die Post habe ihm aber nicht mehr mitteilen können, wer der Absender gewesen sei.
4.3. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer die Vorladung nicht zur Kenntnis genommen hat und in der Folge zur Einvernahme nicht erschienen ist. Die Vorladung wurde der Staatsanwaltschaft retourniert, nachdem sie vom Beschwerdeführer auf der Post nicht innerhalb der siebentägigen Abholfrist abgeholt wurde. Aufgrund der im Strafbefehl enthaltenen Rechtsbelehrung und seiner Einsprache gegen den Strafbefehl musste der Beschwerdeführer zwar jederzeit mit Zustellung einer Vorladung rechnen (vgl. Art.85 Abs. 4 lit. a StPO). Indes darf aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus der versäumten Einvernahme mangels effektiver Kenntnisnahme von der Vorladung nicht auf Rückzug der Einsprache und demnach Verzicht auf gerichtliche Überprüfung des Strafbefehls geschlossen werden, zumal sich aus dem Verhalten des Beschwerdeführers auch keine Hinweise auf ein Desinteresse am Fortgang des Strafverfahrens ergeben. Die Staatsanwaltschaft wusste aufgrund der Retournierung der Vorladung, dass der Beschwerdeführer nicht informiert war. In dieser Situation wäre sie gehalten gewesen, den Vorladungsversuch zu wiederholen und damit das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Da zumindest fraglich ist, ob mit einer formularmässigen Belehrung der rechtsstaatlichen Aufklärungs- und Fürsorgepflicht nachgekommen werden kann (BGE 140 IV 82 E. 2.5 S. 85), vermag auch nichts zu ändern, dass die Säumnisfolgen bei Nichterscheinen zur Einvernahme bereits im Strafbefehl enthalten waren. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers wird von der Staatsanwaltschaft nicht geltend gemacht, ein solches ist auch nicht ersichtlich.
4.4. Unter diesen Umständen darf aus der Säumnis des Beschwerdeführers mangels effektiver Kenntnisnahme von der Vorladung nicht geschlossen werden, er habe seine Einsprache zurückgezogen und damit auf die gerichtliche Überprüfung des Strafbefehls verzichtet. Die Beschwerde erweist sich damit als begründet, die angefochtene Verfügung ist aufzuheben, und die Staatsanwaltschaft ist anzuweisen, die Einsprache materiell zu behandeln.
Arrêt OGE 51/2019/35 du Tribunal cantonal de Zurich du 17.4.2020
Un nouvel avis d’expert rend le précédent obsolète
De nouvelles données médicales requièrent de réévaluer la capacité de comprendre et d’apprécier correctement une situation donnée.
Etat de fait:
Condamné par un tribunal de district, un homme saisit le Tribunal cantonal. Il invoque notamment le fait que, selon une nouvelle expertise, le diagnostic de l’expert précédent est complètement faux. Le Tribunal rétorque que, selon la jurisprudence, un nouveau diagnostic ou une nouvelle expertise ne suffit pas pour revoir un jugement pénal définitif. Le Tribunal fédéral revoit ce verdict et donne raison à l’homme en question.
Extrait des considérants:
2.1. Der Beschwerdeführer führt aus, das bezirksgerichtliche Straf- und Massnahmeurteil vom 20. Juni 2017 beruhe wesentlich auf einem psychiatrischen Gutachten, was die Schuldfähigkeit und die medizinischen Grundlagen der Massnahme angehe. Der Sachverständige habe eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, emotional instabilen, histrionischen und paranoiden Zügen diagnostiziert. Laut seinem Gutachten sei die Schuldfähigkeit nicht aufgehoben: Die Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht der Tat sei vollständig gegeben und die Fähigkeit, gemäss dieser Einsicht zu handeln, lediglich knapp mittelschwer vermindert. Nun habe sich herausgestellt, dass die im Gutachten gestellte Diagnose grundlegend falsch sei. Gemäss einem Bericht vom 23. April 2019 der Psychiatrischen Universitätsklinik, wo die Behandlung im Rahmen der Massnahme stattfinde, leide er nicht an einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung, sondern u.a. an einer schizophrenen Erkrankung. Der Beschwerdeführer macht geltend, die in der Klinik diagnostizierten Leiden führten regelmässig zu einer Aufhebung der Schuldfähigkeit, mindestens aber zu deren starker Einschränkung. Die Berichte der Klinik böten denn auch gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass er bei den Taten schuldunfähig gewesen sei. Treffe dies zu, so erweise sich das frühere Gutachten als grundlegend fehlerhaft im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Das bezirksgerichtliche Urteil beruhe auf falschen Tatsachen. Dies wirke sich zwangsläufig auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit und damit auf den Bestand des Schuldspruchs oder zumindest auf das Strafmass – aus. Die Freiheitsstrafe sei im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO zu revidieren.
2.2. Die Vorinstanz erwägt, nach der Rechtsprechung genüge die von einem früheren Gutachten abweichende Diagnose oder Meinung eines Sachverständigen nicht, um ein rechtskräftiges Strafurteil zu revidieren. Die therapierenden Ärzte hätten die psychischen Auffälligkeiten anders gewichtet. Dies lasse das im Strafverfahren erstellte Gutachten aber nicht automatisch als grundlegend fehlerhaft dastehen. Die Einschätzung der behandelnden Ärzte ersetze lediglich diejenige des früheren Gutachters. Das erschüttere die tatsächlichen Grundlagen des bezirksgerichtlichen Urteils vom 20. Juni 2017 nicht.
2.3. (...) Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist gerechtfertigt, wenn neue medizinische Dokumente zeigen, dass das Strafurteil wahrscheinlich auf ungenauen, unvollständigen oder falschen tatsächlichen Annahmen beruht. Dies trifft einmal dann zu, wenn eine neue Expertise klare Fehler der früheren gutachterlichen Einschätzung zutage fördert, und diese Hinweise geeignet sind, die Beweisgrundlage des Urteils zu erschüttern (Urteil 6B_413/2016 vom 2. August 2016 E. 1.3.1 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur). Ein Revisionsgrund kann auch vorliegen, wenn ein medizinischer Bericht neu entdeckte, aber vorbestehende Tatsachen dokumentiert, aufgrund derer es wahrscheinlich erscheint, dass die entsprechenden Aussagen der früheren Expertise in einer sachgerichtlichen Abwägung der Beweise nicht mehr Bestand haben werden.
Der Umstand allein, dass eine Expertenmeinung von derjenigen des früheren Gutachters abweicht, bildet jedoch keinen Revisionsgrund. So ist es revisionsrechtlich unerheblich, dass eine neue Evaluation der Psychopathie zu einer anderen Diagnose oder Prognose führt, wenn im Wesentlichen die gleichen medizinischen Befunde dahinterstehen (vgl. BGE 144 IV 321 E. 3.2 S. 331). Solange die neue medizinische Stellungnahme einen gesundheitlichen Zustand bloss anders interpretiert und sich die frühere gutachterliche Festlegung auch im Licht der neuen Erkenntnisse im Rahmen des vertretbaren medizinischen Ermessens hält, ist regelmässig keine neue Tatsache im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO gegeben. In der Psychiatrie kann ein und dieselbe Störung je nach zugrundegelegtem psychiatrischem Konzept diagnostisch unterschiedlich erfassbar sein. Nicht die neue Etikette einer veränderten Diagnose begründet einen Revisionsgrund, sondern das dahinterstehende abweichende medizinische Substrat, das beispielsweise eine neue Beurteilung der Schuldfähigkeit erfordert.
2.6. Das mit Revisionsgesuch angefochtene erstinstanzliche Urteil vom 20. Juni 2017 geht von einer knapp mittelschwer verminderten Schuldfähigkeit aus; dies wurde im Rahmen der Strafzumessung bei der subjektiven Tatschwere berücksichtigt. Das Gericht stützte sich auf die Erkenntnisse des psychiatrischen Gutachtens von Dr. B., Winterthur, vom Januar 2017. Danach liege eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, emotional instabilen, histrionischen und paranoiden Zügen vor. Der Sachverständige betonte die Rollen des narzisstischen und des paranoiden Anteils der Störung. Das narzisstische Bestreben um Aufmerksamkeit werde durch die paranoide Komponente der Persönlichkeitsstörung konterkariert. Der Betroffene interpretiere die (an sich erstrebte) Aufmerksamkeit als Angriff oder Provokation, die abgewehrt werden müsse. Darin klängen auch emotional-instabile Persönlichkeitsanteile vom impulsiven Typus an. Der Explorand habe sich objektiv unbegründet, aus subjektiver Warte aber in hohem Mass provoziert gefühlt. Auf der Ebene der Unfähigkeit zur Einsicht in das Unrecht wirke dies indes nicht schuldvermindernd. Der paranoide Anteil der Persönlichkeitsstörung habe lediglich zu einer «übersteigerten und wenig reflektierten» Verarbeitung der Situation geführt; die Tat sei aus einer emotionalen Notsituation, aber nicht in Verkennung oder verzerrter Wahrnehmung der Realität geschehen. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung habe in der Tatsituation eine hohe Bereitschaft des Beschwerdeführers erzeugt, sich als beleidigt, attackiert und provoziert zu erleben. Er habe sich genötigt gesehen, dies mit dem Angriff zu vergelten. Insofern sei die Fähigkeit, einsichtsgemäss zu handeln, mittelschwer vermindert gewesen. Insgesamt liege eine Verminderung der Schuldfähigkeit «knapp mittel-schweren Grades» vor (Gutachten S. 42, 44 f. und 55).
2.7. Die seit Februar 2018 mit der stationären therapeutischen Behandlung des Beschwerdeführers befassten Fachpersonen der Psychiatrischen Universitätsklinik diagnostizierten (...) zunächst eine schizotype Störung, allenfalls (differenzialdiagnostisch) eine undifferenzierte Schizophrenie resp. eine wahnhafte Störung, zusätzlich psychische und Verhaltensstörungen durch Suchtmittel. Die früher gestellte Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung werde nicht geteilt. Im Verlauf der Therapie hätten sich zunehmend Hinweise auf eine – seit längerer Zeit bestehende – manifest schizophrene Symptomatik ergeben. Die psychiatrische Grunderkrankung (u.a. mit Bedrohungserleben) und die Substanzabhängigkeitsstörung (mit impulsiv-aggressivem Verhalten) beeinflussten sich gegenseitig ungünstig.
Laut einem Behandlungsplan der Psychiatrischen Universitätsklinik von Ende Mai 2019 ersetzten die für die Therapie Verantwortlichen die genannten provisorischen Diagnosen aus dem schizophrenen Formenkreis, nach mittlerweile über 15-monatiger klinischer Verlaufsbeobachtung, durch eine paranoide Schizophrenie mit manifest wahnhafter Symptomatik und Hinweisen auf halluzinantes Erleben. (...).
2.8. Die Diagnosen der Psychiatrischen Universitätsklinik dokumentieren ein tatrelevantes Krankheitsgeschehen, das sich tiefgreifend von jenem unterscheidet, das für den früheren Gutachter massgebend war: (...) schizophrene Erkrankungen bringen grundlegende und charakteristische Störungen des Denkens, Wahnwahrnehmungen sowie inadäquate oder verflachte Affektivität mit sich. Freilich kommen auch bei Persönlichkeitsstörungen weitgehend abnorme Verhaltensmuster vor, u.a. was die Funktionen Affektivität, Impulskontrolle und Wahrnehmung angeht. Die Symptome einer schizophrenen Erkrankung heben sich indessen deutlich davon ab: Zu den Beeinträchtigungen psychotischer Natur (Realitätsverlust, [Verfolgungs-]Wahn, Halluzinationen akustischer und anderer Art etc.) kommen (verschiedene Lebensbereiche übergreifende) Defizite in grundlegenden emotionalen Vorgängen und Verhaltensweisen (sog. Negativsymptome wie z.B. abgestumpfter Affekt) oder auch kognitive Beeinträchtigungen wie Denkstörungen, die rationale Kontrollmechanismen ausser Kraft setzen können. Das Delinquenzrisiko vor allem für Gewalttaten ist erhöht. (...).
2.9. Der Bericht der Psychiatrischen Universitätsklinik enthält als neues Beweismittel im Sinn von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO Tatsachen, die anscheinend schon zum Tatzeitpunkt bestanden, sich dem früheren Sachverständigen aber nicht erschlossen haben. Wenn bereits dieser Experte der Persönlichkeitsstörung eine paranoide Komponente zugeschrieben hat, so bedeutet dies nicht, dass es nun allein um eine Neubewertung oder andere Gewichtung von gesundheitlichen Tatsachen im Rahmen des ärztlichen Ermessens ginge. Sofern sich die im Verlauf der Therapie gewonnenen neuen Erkenntnisse bestätigen, werden die (als solche aus damaliger Sicht durchaus gut nachvollziehbaren, schlüssigen) Einschätzungen im früheren Gutachten gegenstandslos. Damit sind wesentliche Teile des Tatsachenfundaments für die Beurteilung der Strafbarkeit resp. des Strafmasses ernsthaft infrage gestellt. Die Abweichungen des neu erkannten medizinischen Substrats erfordern eine neue Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt.
Damit ist der geltend gemachte Revisionsgrund gegeben. Ob und wie weit sich die neu gestellten Diagnosen effektiv durchsetzen und, gegebenenfalls, welche Auswirkungen dies auf Schuld und Strafe hat, wird Gegenstand der Beweiswürdigung resp. der rechtlichen Beurteilung im neuen Verfahren sein.
Arrêt 6B_1451/2019 du Tribunal fédéral du 11.6.2020